Sicher? Sicher nicht!

von Katrin Wagner
01.08.2012

Warnschild für munitionsbelastetes Gebiet in einem Wald

Lena, Christian und Anna studieren gemeinsam Soziologie in Berlin. Während der Mittagspause zwischen zwei Vorlesungen entspann sich ein interessanter Dialog zwischen den Dreien über die Frage, was eigentlich damit gemeint sei, wenn man von „Absicherung“ spricht:

Lena: „Also für mich hieße ,völlig abgesichert sein, dass ich mich zu Hause einschließen müsste. Ich hätte dann viele Schlösser an meiner Tür, verschanze mich in meiner Wohnung und würde nicht mehr rausgehen. Das ist natürlich kein Leben, das geht so eigentlich gar nicht… aber nur so bin ich doch gegen alles, was passieren kann, abgesichert, oder?“

Christian: „Ich verstehe das ganz anders. Für mich bedeutet absichern, eine Waffe bei mir zu tragen, um mich im Notfall zu verteidigen. Oder ich hätte eine Waffe daheim, wenn mich dort jemand angreift. Nur so kann ich doch mein Leben effektiv schützen, wenn es darauf ankommt!“

Anna: „Ich denke da an etwas ganz anderes als ihr! Zu Hause einschließen, das geht doch nicht. Und Waffen – sind wir denn in den USA? Ich kann mich doch nicht im Vornherein gegen alles schützen. Doch was ich tun kann, ist die Absicherung vor einem schlimmen Ereignis! Wozu gibt es denn diese ganzen Versicherungen? Mit jeder kann ich praktisch etwas anderes absichern. Meinen Hausrat gegen Diebstahl, meine Bringschuld – wenn ich versehentlich fremdes Eigentum beschädige – mit der Haftpflicht und dann ja noch das Auto! Ach, wenn das nur nicht alles so teuer wäre!“

Lena, Christian und Anna zeigen bereits, dass schon ein einziges Wort mit ganz verschiedenen Überlegungen verknüpft sein kann.

Wie sieht es aus, wenn wir einmal allgemein den Begriff „Sicherheit“ betrachten? Anscheinend verbirgt sich recht viel dahinter: In allen Bereichen unseres Lebens haben wir mit Sicherheit zu tun. Kann ich diese Gurke essen oder verbergen sich mikroskopisch kleine und damit nahezu unsichtbare EHEC-Erreger darin? Sind die Airbags meines Autos eigentlich gut genug, wenn ich einen Unfall habe oder sind sie gar gefährlich für mein Baby? Ist die Handystrahlung nun doch nicht krebserregend – jede Studie widerlegt die Vorhergehende! Was ist, wenn ich morgen ohne Job dastehe? Ob meine Ehe wohl für immer halten wird?

Sicherheit kann vielerlei bedeutet und jeder versteht etwas anderes darunter. Warum schlemmt der eine weiterhin den Caesars-Salat, auch wenn sich die Meldungen über Krankheitserreger in Gurken und Sprossen in den Medien nur so überschlagen, während der andere die Gabel lieber beiseitelegt? Warum lassen sich manche Menschen beim Autokauf vom schneidigen Design des kleinen roten Flitzers überzeugen, andere aber von ABS und Airbags?

Betrachten wir diese Beispiele, wird offensichtlich, dass sicherheitsrelevante Themen nicht jeden von uns gleichermaßen beeindrucken oder gar zu betreffen scheinen. Obwohl sich Herr Müller in einer offensichtlich recht komfortablen und sicheren Lage wiederfindet, beispielsweise auf einer unbefristeten Stelle eines aufstrebenden Unternehmens, kann er dennoch Unsicherheit darüber empfinden, ob er in zwei Monaten auch noch in seinem Bürostuhl sitzt.

Aus der unterschiedlichen Wahrnehmung von Risiken und Gefahren ergeben sich subjektiv gefühlte Sicherheiten oder Unsicherheiten. Wahrgenommene Sicherheiten sind damit also nicht objektiv einheitlich, sondern abhängig vom Individuum selbst und der Situation, in der es sich befindet. Sicherheit bedeutet zudem auch, eine bestimmte Erwartungshaltung an die Zukunft zu haben. Sicher fühle ich mich dann, wenn ich positive Erfahrungen aus der Vergangenheit als Annahme für meine Zukunft voraussetzen kann. Diese Annahmen, ob positiv oder negativ, werden unter dem Begriff „Erwartungssicherheit“ zusammengefasst. Diese Erwartungssicherheiten ermöglichen es uns überhaupt erst, miteinander zu handeln. Oftmals stehen wir vor einer Situation, die unzählige Handlungsmöglichkeiten und zugleich unabsehbare Konsequenzen eröffnet. Wenn wir uns dann für eine dieser Möglichkeiten entscheiden, sind es oft Erwartungssicherheiten, die uns auf eine bestimmte Weise handeln lassen. Was die Welt um uns herum sicherer macht, ist demnach so gar nicht in Antibiotika, alternativen Energien oder bruchsicheren Karosserien wiederzufinden, sondern einzig und allein in unserem Kopf.

 

Lesetipp

Wolfgang Bonß (1995): Vom Risiko. Unsicherheit und Ungewißheit in der Moderne.

 

 


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